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Ältere inhaftierte Personen

Die Menschen werden alt, auch im Gefängnis. Das war schon immer so, aber heute kommt es häufiger vor, weil viele Personen im Gefängnis länger inhaftiert sind und einige nie mehr entlassen werden. Aufgrund von einer strengeren Gefängnispolitik, gibt es daher vermehrt Personen welche im Gefängnis altern und sterben.

Gefängnisse sind uns meist fremd – weil sie hinter Mauern und Stacheldraht versteckt sind. Inhaftierte Personen gehören aus diesem Grund oft zu einer vergessenen Bevölkerungsgruppe, Mit dieser Ausstellung wollen wir die Auseinandersetzung mit diesem vernachlässigten Thema fördern und Wissen über jene verbreiten, die in unserem Land leben, aber unsichtbar sind.

Das Institut für Bio- und Medizinethik der Universität Basel hat über die letzten fünfzehn Jahre hinweg einen umfangreichen Datensatz und neue Erkenntnisse über die älteren inhaftierten Personen in Schweizer Einrichtungen des Straf- und Massnahmenvollzuges gewonnen. Während zwei vom SNF-finanzierten Grossprojekten «Agequake 1» und «Agequake 2» wurde das Phänomen ‘Altern im Gefängnis’ untersucht. Diese Fotoausstellung ist nun Teil der Öffentlichkeitsarbeit, um die erworbenen Erkenntnisse der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

 

Unterbringung und Versorgung

Mit der Zunahme an älteren inhaftierten Personen nimmt die Dringlichkeit um die Frage der Unterbringung und Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe zu. Sollen ältere Personen getrennt in separaten Einrichtung oder integriert in den bestehenden Gefängnissen leben? Ein Vorteil der Trennung sind eine effizientere Nutzung von Ressourcen sowie eine mögliche Spezialisierung des Personals auf typische Bedürfnisse und Gesundheitsprobleme im Alter. Ausserdem ist eine Trennung in manchen Fällen notwendig, um den Schutz älterer inhaftierter Personen vor dem Missbrauch durch jüngere, stärkere und in der Gefängnishierarchie höher positionierte Personen zu gewährleisten. Spezialabteilungen innerhalb der bestehenden Gefängnisse sind wichtig um beispielsweise älteren Personen mit Mobilitätsproblemen das Treppensteigen zu ersparen. Jedoch ist es auch wichtig den Kontakt zu jüngeren Personen und einen Zugang zu den allgemeinen Versorgungsstrukturen zu gewährleisten. Viele ältere Personen schätzen den Austausch mit den jüngeren Generationen, wollen aber mehr Privatsphäre und Ruhe.

In der Schweiz gibt es aktuell drei solcher Spezialabteilungen. In anderen Ländern gibt es ähnliche Lösungen in der Versorgung von älteren Personen, aber auch Besonderheiten: In Kanada gibt es beispielsweise sogenannte ‘Peer-Interventionen’, wo jüngeren inhaftierten Personen die Älteren in der Bewältigung des Alltags unterstützen. Diese haben grosses Potenzial um den hohen Versorgungsbedarf abzudecken und gleichzeitig den Austausch zwischen den Generationen zu fördern. Es ist ausserdem eine Methode um Einsamkeit und Isolation unter den Älteren zu reduzieren sowie den jüngeren Personen eine sinnstiftende und verantwortungsvolle Aufgabe während ihrer Inhaftierung zu übertragen.

 

Alt ab 50?

In der Allgemeinbevölkerung wird häufig das Alter 65 als Schwellenwert für die Abgrenzung zwischen Alt und Jung verwendet. Hinter Gittern gelten Personen ab 50 bereits als älter. Der Grund hierfür ist, dass schon ab dem Alter 50 eine drastische Zunahme von Krankheitslast und Inanspruchnahme der Gesundheitsdienste bemerkbar ist. Ab diesem Alter zeigen sich deutliche Einbussen im Gesundheitszustand und der Leitungsfähigkeit. Die Gefängnisgesundheitsdienste sind stark gefordert, da sie auf die Versorgung von jüngeren Personen mit akuten Erkrankungen und Verletzungen ausgerichtet sind. Die älteren Personen benötigen jedoch häufig eine konstante Betreuung aufgrund ihrer zunehmenden chronischen Gesundheitsprobleme, wie beispielsweise Bluthochdruck, rheumatoide Erkrankungen, sowie depressive Verstimmungen.

Der Unterschied im Gesundheitszustand zwischen der Allgemeinbevölkerung und der Gefängnispopulation lässt sich darauf zurückführen, dass die Gefangenen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Gruppe gehören, die ungünstigen Einflüssen ausgesetzt ist, die sich negativ auf ihre Gesundheit und den Alterungsprozess auswirken können. Zu diesen Faktoren gehören beispielsweise Ernährung, Schlaf, Bewegung, chronischer Stress, Substanzkonsum, Wohnsituation, Bildungsniveau und das soziale und familiäre Umfeld.

In Bezug auf inhaftierte Personen wird dieser Unterschied vor allem auf zwei Gründe zurückgeführt: den Lebensstil der inhaftierten Personen vor der Inhaftierung und die Einflüsse der Inhaftierung selbst. So hat sich gezeigt, dass inhaftierte Personen eher aus benachteiligten Verhältnissen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status stammen. Ausserdem haben sie häufig eine Vorgeschichte mit übermässigem Drogen- und Alkoholkonsum, schlechten Ernährungs- und Essgewohnheiten, persönlicher Vernachlässigung, unzureichendem Zugang zu medizinischer Versorgung, belastenden Lebenserfahrungen und einer allgemeinen Neigung zu riskantem Verhalten. Weiterhin wird vermutet, dass sich die Inhaftierung selbst auch auf die Gesundheit der Gefangenen auswirkt, und zwar durch die Trennung von der Familie, das Risiko der Isolation und des Einsamkeitserlebens, die Angst vor Gewalt durch andere inhaftierte Personen und einen schlechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung während der Inhaftierung.

 

Gesundes Altern

Gefängnisse stellen eine Chance dar, ein gesundes Altern zu fördern. Inhaftierte Personen stammen meist aus sozial benachteiligten Verhältnissen, was ihr Krankheitsrisiko erhöht. Durch gezielte Massnahmen können Gefängnisse dazu beitragen, das Altern gesünder zu gestalten. Dies ist sowohl für das individuelle Wohlbefinden wichtig, als auch für die Reduzierung von Rückfallrisiken und die Entlastung des Gesundheitssystems. Hierfür ist es von grosser Bedeutung, dass die Gefängnisgesundheitsdienste ihre Schwerpunkte von der Behandlung akuter Erkrankungen wie Infektionen und Verletzungen hin zu einer Betreuung von chronischen Gesundheitsproblemen wie Diabetes, Bluthochdruck und Depressionen verlagern. Neben einer umfassenden medizinischen Versorgung ist auch eine ausgewogene Ernährung sowie regelmässige Bewegung und Sport entscheidend für die Erhaltung und Förderung der Lebensqualität und Gesundheit.

In vielen Gefängnissen in der Schweiz gibt es das Kantinensystem. Somit erhalten alle inhaftierten Personen einer Anstalt gleichzeitig dasselbe Essen. Dieses Essen wird oft als repetitiv und nicht besonders gesund empfunden. Personen mit langen Haftzeiten erleben die wöchentliche Wiederholung des Speiseplans als unnötige Peinigung. Die Anpassung der Ernährung an chronische Krankheiten wie Diabetes und Nierenerkrankungen stellt eine besondere Herausforderung für das System dar. Ältere Personen berichten, dass sie keine speziell auf ihre Gesundheitsbedürfnisse zugeschnittene Alternative erhalten, sondern sich aus dem allgemeinen Menü das Passende herauspicken müssen. Eine ältere inhaftierte Person mit Kauproblemen hat folgendes geschildert:  «Das Problem ist, dass ich nicht zubeissen kann. Also nahmen sie das Fleisch, nahmen das Gemüse, alles in einen Topf und sch-sch-sch [imitiert das Geräusch eines Mixers]. Nun, es sah aus wie Erbrochenes.».

Inhaftierte Personen neigen zu einer sitzenden Lebensweise, die sich weitgehend um ihr Bett dreht. Es gibt Möglichkeiten für Bewegung und Sport innerhalb von Gefängnissen, aber besonders ältere Personen vermeiden diese häufig. Dies liegt daran, dass sie sich aufgrund gesundheitlicher Probleme oder ihrer abnehmenden Leistungsfähigkeit nicht in der Lage fühlen beim Sport der jüngeren Leute mitzuhalten. Beispielsweise möchten sie nicht bei lauter Technomusik im Fitnessraum pumpen oder sich beim Fussball eine Verletzung zuziehen. Die JVA Pöschwies hat darauf reagiert und ein Sport- und Bewegungsangebot geschaffen, welches speziell auf die Bedürfnisse von älteren Personen in Haft angepasst ist. Ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Risiko und Reintegration

Hinter wieviel Zaun, Mauern und Schlössern sollen Mörder und Sexualstraftäter eingesperrt werden? Am besten so viel wie möglich! – sagt unsere Null-Risiko-Gesellschaft. Was auf den ersten Blick nach mehr Sicherheit aussieht, bringt viele Probleme mit sich und wirft Fragen auf.

Mit zunehmendem Alter sinken die Kriminalitätsraten. Also, je älter, desto weniger Straftaten, desto weniger gefährlich. Nichtsdestotrotz sind die meisten älteren inhaftierten Personen im Hinblick auf ihre Gefährlichkeit unangemessen untergebracht, zu stark gesichert. Dies hat unter anderem mit der gesellschaftlichen Erwartung an Null-Risiko zu tun, aber auch an einem Mangel an Gefängnissen mit geringeren Sicherheitsvorkehrungen. Zudem gibt es zu wenig öffentliche Einrichtungen welche Langzeitbetreuung bieten, in welche ehemals inhaftierte Personen nach der Haftzeit übergehen könnten.

Am Ende einer jeder Gefängnisstrafe soll die erfolgreiche Wiedereingliederung stehen, aber welche Perspektive haben ältere inhaftierte Personen? Häufig haben Sie wenige finanzielle Ressourcen und geringe Aussichten auf eine Rückkehr in die Arbeitswelt. Sie haben ein kleines soziales Netz, brauchen aber viel Unterstützung. Sie benötigen eine engmaschige Gesundheitsversorgung, einige brauchen Unterstützung im Alltag. Sie haben oft lange Haftstrafen hinter sich und zeigen Auswirkungen der Institutionalisierung, wie beispielsweise eine Abhängigkeit von institutionellen Strukturen sowie soziale Entfremdung und Rückzug. Einzelne haben noch nie ein Smartphone gesehen, die digitale Welt ist ihnen fremd. Wenig überraschend berichten viele ältere inhaftierte Personen von Ängsten bezüglich einer Entlassung, aber auch von Ängsten in Haft zu sterben und die Welt draussen nie mehr erleben zu dürfen. Aufgrund von ihrer nachlassenden Leistungsfähigkeit und der zunehmenden Gesundheitsprobleme fühlen sich viele jedoch unfähig, ein eigenständiges Leben aufzubauen. Ein Grossteil ist daher ambivalent: Sie wollen mehr persönliche Freiheiten und sich in der Welt ausserhalb der Mauern bewegen, haben aber Bedenken bezüglich ihrer Fähigkeiten eigenständig zu leben.

Null-Risiko gibt es nicht – nirgends. Daher stellt sich die Frage, ob solche vordergründigen Sicherheitsmassnahmen mit vielen Mauern und Zäunen wirklich sinnvoll sind. Viele der älteren inhaftierten Personen können zwar nicht zurück in ein selbständiges Leben kehren, brauchen jedoch diese starke Sicherung nicht mehr. Die meisten benötigen Einrichtungen, welche Langzeitbetreuung bieten, in öffentlichen Einrichtungen oder in Gefängnissen mit wenig Sicherung. Mauern, Zaun und Sicherheitspersonal kosten viel Geld. Unsere Null-Risiko-Gesellschaft sollte überdenken, ob diese Ressourcen richtig eingesetzt sind. 

 

Lebensende und Tod

Das Thema «Lebensende im Gefängnis» wurde früher meistens im Zusammenhang mit Suizid oder Tötung durch Mitgefangene behandelt. Aufgrund der Zunahme an älteren inhaftierten Personen werden vermehrt Menschen aufgrund eines natürlichen Todes im Freiheitsentzug sterben. Diese Todesfälle benötigen andere Interventionen, Pflege und psychosoziale Unterstützung. Die Betreuung von Gefangenen am Lebensende wird jedoch häufig durch das restriktive Umfeld und die gegensätzlichen Ziele der Betreuung und der Gewährleistung der Sicherheit erschwert.

Die Nähe zur eigenen Endlichkeit und die Möglichkeit, in Unfreiheit zu sterben, lösen Ängste aus. Sie sehnen sich danach, noch einmal die Freiheit zu erleben. Viele ältere oder kranke Personen fürchten, aufgrund strenger Einschlusspraktiken einsam und unbeachtet in ihrer Zelle zu sterben. Sie möchten sich von ihren Familien und Freunden verabschieden, Konflikte lösen und finanzielle Fragen regeln. Einige möchten das zusätzliche Stigma vermeiden, im Gefängnis zu sterben, um ihre Familien zu schützen. Die restriktiven Besuchszeiten und mangelnde Informationsweitergabe werden als unnötige Bestrafung der Angehörigen empfunden.

Inhaftierte Menschen können den Ort ihres Sterbens nicht selbstbestimmt wählen. Die meisten wünschen sich, ihre letzten Tage ausserhalb des Gefängnisses zu verbringen. Die vorzeitige Entlassung schwerkranker und älterer Personen, ist möglich, aber dazu kommt es selten. Zusätzlich weigern sich öffentliche Einrichtung wie Hospize oft, inhaftierte Personen zu betreuen, hauptsächlich aufgrund von Stigma und Angst vor dem Unbekannten. Wenn sich der Gesundheitszustand einer Person verschlechtert, können sie in eine spezielle Abteilung für inhaftierte Personen im Berner Inselspital verlegt werden. Diese bietet Akutversorgung, welche Gefängnisgesundheitsdienste nicht leisten können. Für einige langjährig inhaftierte Personen, die den Kontakt zur Aussenwelt weitgehend verloren haben und deren soziales Umfeld hauptsächlich innerhalb des Gefängnisses liegt, stellt sich die Frage, ob sie lieber innerhalb des Gefängnisses sterben möchten, welches ihr dauerhafter Wohnort geworden ist. Dies ist nun in der Abteilung 60plus der JVA Lenzburg ist möglich.

 

Isolation und Einsamkeit

Fehlende soziale Netzwerke und das Erleben von Isolation und Einsamkeit kann nicht nur die psychische und physische Gesundheit, sondern auch die erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigen. Die Kontakte zur Gesellschaft ausserhalb und innerhalb der Mauern sind stark eingeschränkt, wie diese inhaftierte Person es zusammenfasst: «Keine Beziehungen mehr zur Gesellschaft, keine Liebesbeziehungen mehr mit dem anderen Geschlecht, mit Frauen, nichts mehr von alledem. Keine Treffen mehr mit Menschen, die uns bereichern könnten. Das gibt es alles nicht mehr.»

Ältere inhaftierte Personen haben in der Regel lange Haftzeiten bereits hinter sich. Aus diesem Grund haben viele im Laufe der Zeit den Kontakt zu Personen ausserhalb der Gefängnisse verloren. Vielleicht sind deren Eltern gestorben, die weitere Familie sucht kaum Kontakt, die intime Partnerschaft ging auseinander. Die Regelungen zu Besuchszeiten sind stark reglementiert und werden für Freunde, Bekannte und Familienmitglieder, welche auch älter werden, zunehmend beschwerlich. Lange Anreisen und aufwändige Sicherheitskontrollen sind anstrengend. Einige wenige Kontaktpersonen bleiben vielleicht erhalten, aber das soziale Unterstützungsnetz ist klein.

Weil gerade die älteren Personen viele Jahre in Haft verbracht haben, nehmen die sozialen Beziehungen innerhalb vom Gefängnis einen hohen Stellenwert ein. Die Kontakte zu anderen inhaftieren Personen sind wichtig, jedoch durch die Sicherheitsvorkehrungen eingeschränkt, da sie sich zwischen den Abteilungen nicht frei bewegen können. Des Weiteren gibt es häufig sprachliche Barrieren, da sich Menschen aus vielen Nationen und somit verschiedenen Sprachen gemeinsam in Haft befinden. Einige ältere Personen berichten, dass sie den Austausch mit den jüngeren Personen schätzen, da sie beispielsweise um Rat gebeten werden. Ausserdem nimmt die Bedeutung der Interaktionen mit dem Gesundheitspersonal vor allem bei den älteren Personen zu. Einige von ihnen benötigen gesundheitliche Versorgung und Unterstützung im Alltag und entwickeln eine enge Beziehung zum Pflegepersonal. Andere beschreiben deren PsychotherapeutInnen als Hauptvertrauensperson innerhalb der Einrichtung. Einsamkeit erhöht das Risiko für körperliche und psychische Gesundheitsprobleme. Deshalb sollte ein stärkerer Fokus daraufgelegt werden, den inhaftierten Personen dabei zu helfen, enge Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Gefängnisse haben das Potenzial eine Umgebung zu schaffen, welche die Entwicklung vertrauter Beziehungen fördert. Diese Chancen sollten wir nutzen.