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"Ich mit meinen Arbeitskollegen mit denen ich viel Zeit verbringe (aus dem Rumänischen übersetzt)"

Perspektivenwechsel - Ethnologisches Fotoprojekt von Prof. Cornelia Hummel

In zwei Schweizer Gefängnissen wurden ältere inhaftierten Personen dazu eingeladen ihren Alltag fotografisch zu dokumentieren. Hierdurch kehren wir den Blick um: Anstatt von aussen auf das Altern im Gefängnis zu schauen, nehmen wir den Blickwinkel der älteren Personen selbst ein.

Acht männliche inhaftierte Personen im Alter von 50 bis 77 Jahren wurden mit einfachen digitalen Kompaktkameras und einem Notizbuch ausgestattet. Sie wurden gebeten, ihren Alltag innerhalb von drei Tagen zu dokumentieren. Von den acht Personen haben sieben die Notizbücher verwendet, um Beschreibungen der Bilder zu notieren. Eine der acht Personen konnte nicht schreiben. Die Fotos dokumentieren nicht nur ‘Das Gefängnis’, sondern zeigen auch ein eingeschränktes ‘Zuhause’ und die üblichen Alltagsprozesse. Die täglichen Routinen: essen, sich bewegen, arbeiten, die Zelle reinigen, duschen, lesen, fernsehen, sich ausruhen, Medikamente einnehmen, schlafen. Die Bilder sind nicht spektakulär. Man könnte sie fast als bescheiden bezeichnen - wie das Alltagsleben, das sie wiedergeben. Dennoch wertvoll.

Viele Fotos beziehen sich auf die Arbeit, entweder direkt oder unterschwellig durch die Aufnahme eines Ortes, an dem man ‘Pause’ macht, oder das fotografische Festhalten eines Vormittags, an dem man ausschlafen kann, an einem freien Tag. Diese Fotos spiegeln die starke Strukturierung des Lebens im Gefängnis durch Arbeit wider, unabhängig vom Alter des Häftlings - da die Arbeitspflicht im Gefängnis keinen Ruhestand kennt.

Alle haben ihre Zelle fotografiert - und das possessive Bestimmungswort ist nicht unbedeutend: ‘Meine’ Zelle, die in den schriftlichen Kommentaren manchmal auch als ‘mein Zimmer’ oder ‘mein Wohnort’ bezeichnet wird, ist der Raum des Rückzugs, der Ruhe, der Intimität, einer kontrastreichen, weil abwechselnd wohltuenden oder schmerzhaften Einsamkeit. Der Raum besteht zwar aus einem einzigen Raum, kann aber in mehrere Unterräume aufgeteilt werden, die der räumlichen Organisation einer normalen Wohnung entsprechen.

Mehrere Gefangene dokumentierten und betonten die Bedeutung des Doppelschlosses in der Tür der Zelle: Das grosse Schloss ist das Schloss der Wärter, das kleine Schloss ermöglicht es dem Häftling, die Zelle von aussen während des Arbeitstages zu schliessen oder von innen während der Pausen, am Abend und an Feiertagen. Ein Fotograf hat ebenfalls die Tür seiner Zelle von innen abgelichtet mit dem Kommentar "Ich schliesse meine Zelle von innen, um mehr Privatsphäre zu haben". Mehrere Häftlinge betonten das Bedürfnis nach Rückzug: "In meinem Alter sehne ich mich nach etwas Ruhe und etwas Frieden".

Bilder, die durch Fenster aufgenommen wurden, sind ein wiederkehrendes Motiv. Insbesondere solche, die durch die Gitterstäbe der Fenster fotografiert wurden. Dabei wurden mehrere Fotos mit der Kamera zwischen den Gitterstäben platziert, um sie zu umgehen. Manchmal rufen das Foto und seine Beschriftung auf den ersten Blick Verwirrung hervor: So lautet die Bildunterschrift einer Aufnahme aus dem Fenster eines Arbeitsateliers: "Ich gehe jeden Tag zum Fenster, um die Kühe und Schafe auf der Weide zu sehen.", obwohl dort das Holzlager der Tischlerei der Strafanstalt zu sehen ist. Der Blick des Häftlings ist nicht der unsere: Weiden, Kühe und Schafe muss man in der Ferne erahnen. Sie müssen nach dem "Feld vor meinem Zimmer" suchen, denn das, was sich dem Blick aufdrängt, ist die Umfassungsmauer. Aus dem Fenster zu schauen, heisst, mit den Augen "in Gedanken entfliehen", wie eine Person schreibt, es ist ein Spaziergang nach draussen und gleichzeitig ein in sich gehen, wie eine andere Person notierte: "Ich verbringe viel Zeit am Fenster und sehe die Kirche, die Gärten, die Bäume und denke über mein Leben nach." Diese Bilder aus dem Fenster stehen im Kontrast zu den Bildern der steinernen Spazierhöfe (oder Kunstrasenplätze), den Höfen, in denen sich die Sitzgelegenheiten befinden mit spärlichen Bänken - wenn es überhaupt Bänke gibt - und seltenem Schatten.